Wellen bewegen die Welt

Wie benutzen wir den Begriff «Welle» im Alltag? Und in welcher Beziehung stehen die Alltagsverwendungen zu den physikalischen Wellen?
Poster zum Thema Gesellschaft
Corona-Welle
Anzahl Fälle
Zeit

Stetiges Auf und Ab

Einige Begriffe physikalischer Wellen kennen wir aus dem alltäglichen Sprachgebrauch: Wasserwelle, Schallwelle, Mikrowelle. Andere Wellen in unserer Alltagssprache haben jedoch mit einer physikalischen Welle wenig gemein: das Auf und Ab einer auf Papier gezeichneten Wellenlinie, ein Wellblech, eine Dauerwelle. Diese beziehen sich einzig auf die Form der Welle. Weder schwingen die Dinge, die sie beschreiben, noch breiten sie sich aus.

Andere Wellenbegriffe beziehen sich darauf, wie sich etwas mit der Zeit immer wieder aufbaut und abflacht – so wie bei einer physikalischen Welle: Hitzewelle, Flüchtlingswelle, Wellen der Anteilnahme, aber auch Grippewellen und Corona-Wellen. Zusätzlich kann mit der Wahl des Begriffs «Welle» unbewusst oder gezielt ein Gefühl der Überwältigung vermittelt werden – vergleichbar mit einer grossen Wasserwelle, deren Kraft uns überrollen, fortreissen oder umwerfen kann: Aus einer Hitzeperiode wird eine Hitzewelle und aus einer Flüchtlingsbewegung eine Flüchtlingswelle. Was wäre die Wahrnehmung z.B. der Corona-Pandemie, wenn diese nicht mit einer Welle, sondern mit einem Brand verglichen würde, der mal hier schwelt, mal da auflodert?

 

Vernetzte Menschen

Wellenphänomene wie Modewellen, Wellen der Begeisterung und Grippewellen finden im Netzwerk der Gesellschaft statt. Über ihre Kontakte können sich Menschen gegenseitig mit Krankheiten, Ideen und Begeisterung «anstecken» und so zu einer Welle in der Gesellschaft beitragen. Wie genau dies geschieht, hängt von den Verbindungen innerhalb des Netzwerks ab. Mit dem Wachstum der Städte kommen immer mehr Menschen auf engerem Raum zusammen; mit technologischem Fortschritt nehmen Mobilität und Vernetzung zu. Dadurch können sich Informationen und Krankheiten in immer rasanterem Tempo rund um den Globus verbreiten.

Gesellschaftliche Wellen haben mit physikalischen Wellen gemein, dass sich etwas ausbreitet. Statt Wellenenergie sind dies jedoch Viren, Ideen, Emotionen usw. Aufgrund der Komplexität gesellschaftlicher Vernetzungen sind Vorhersagemöglichkeiten begrenzt. So wissen wir, dass es jedes Jahr eine Grippewelle gibt – wo diese wie stark ausgeprägt sein wird, ist aber unbekannt.

Beeinflussen lassen sich gesellschaftliche Wellen allerdings schon: Ich kann z.B. in den sozialen Medien einen Beitrag weiterverbreiten oder auch nicht. Jede und jeder Einzelne ist Teil des gesellschaftlichen Netzwerks und kann sich bewusst – im Rahmen seiner Möglichkeiten – für das Anstossen, die Verstärkung oder die Abschwächung einer Welle einsetzen. So tragen wir alle Verantwortung für die Bildung von Meinungen, Werten und Normen – bis hin zur Schaffung unterschiedlichster Weltanschauungen.

 

Wellenartige Bewegungen

Die La-Ola-Welle im Stadion entsteht durch aufeinanderfolgende Bewegungen. Dadurch meinen wir, eine sich ausbreitende Welle zu sehen. Weil im Stadion alle ihren festen Platz haben und genau wissen, wann sie aufspringen müssen, ist die Ausbreitung der La-Ola-Welle geordnet und die Wellenbewegung klar sichtbar.

Auch das Schwarmverhalten einiger Tiere, die Fortsetzung eines Staus durch bremsende Autos und die Bewegung von Tausendfüsserbeinen können wie eine sich ausbreitende Welle aussehen. Für diese Phänomene haben sich allerdings keine eigenen Wellenbegriffe wie für die La-Ola-Welle durchgesetzt.

Im Vergleich zu physikalischen Wellen fallen einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf: Während sich ein Atom der Übertragung einer Schallwelle nicht entziehen kann, muss eine Person im Stadion nicht aufspringen, nur, weil es alle anderen tun. Meist tut sie es aber doch. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Menschen in den Bann der Welle gezogen werden, wenn am Anfang mindestens 25 Menschen gleichzeitig aufspringen. Die Wellen laufen meist im Uhrzeigersinn mit etwa 20 Sitzen pro Sekunde und einer Wellenlänge von durchschnittlich 15 Sitzen. Wieso dies so ist, ist unklar. Ob die Richtung in Ländern mit Rechts- und Linksverkehr wohl gleich ist? Oder wenn nur Linkshänder im Stadion sitzen?